Der Fachblog für CE-Kennzeichnung

Minimalismus in Anleitungen – Ein Widerspruch?

Erstellt von Lucia Gefken am 13.08.19 10:24

Auf tekom-Tagungen war und bleibt die überarbeitete Version der IEC/IEEE 82079-1 ein Dauerthema. In zahlreichen Vorträgen berichten allseits bekannte Spezialisten über die aktuellen Änderungen. Ein sehr interessanter Aspekt unter vielen ist der Absatz zum Thema Minimalismus von Produktinformationen.

Technische Redakteure bei der Arbeit

Die Quadratur des Kreises

Minimalismus in Anleitungen klingt zunächst wie die Quadratur des Kreises. Und bei genauer Betrachtung kann eine minimalistische Anleitung zum Drahtseilakt werden. Warum? Eine Anleitung, egal ob für eine Maschine gemäß Maschinenrichtlinie oder für ein Konsumgut wie etwa einen Fahrradhelm, hat die Anforderung, den Leser über das vorliegende Produkt zu informieren. Der Leser soll nach genauer Durchsicht der Anleitung in der Lage sein, das Produkt sicher zu nutzen. Um bei dem Fahrradhelm zu bleiben: Wie wird der Helm richtig aufgesetzt, wie wird er auf den Kopfumfang eingestellt, wie werden die Verschlüsse geschlossen und geöffnet und wofür darf der Helm verwendet werden? Falls noch Angaben zu der Reinigung und Entsorgung gemacht werden und die Batterie der integrierten LED getauscht werden kann, ist die Anleitung schon einige Seiten lang. Noch nicht berücksichtigt sind hier die Angaben zu der Sicherheit. So darf der Helm nicht beklebt werden, da durch den Kleber die Stabilität beeinträchtigt wird. Auch hier sind Angaben zum sicheren Gebrauch notwendig. Ganz ehrlich? Nach Minimalismus sieht das erstmal nicht aus.

Das Problem der Spezies

Technische Redakteure möchten dem Leser möglichst viele Informationen mitgeben. Klar, die Sätze sollen kurz und prägnant sein und dass wir nicht über die unterschiedlichen Farbgestaltungen eines Helms schwadronieren, ist klar. Aber wo fängt Minimalismus an und wo liegt die Grenze zur Fahrlässigkeit? Eine Frage, die ich hier ganz sicher nicht beantworten kann. Denn hierfür müssen wieder mehrere Faktoren berücksichtigt werden und auch hier muss der Technische Redakteur – wie so oft – einen vernünftigen Weg finden. Nicht einfach. Denn die Spezies der Technischen Redakteure gilt generell als sicherheitsliebend – mich definitiv eingeschlossen, das können meine Kollegen bestätigen. Je genauer wir beschreiben, desto weniger Fehler macht der Leser. Oder? Die Norm besagt hier etwas anderes. Zu viel Information lenkt vom Wesentlichen ab und kann zu Fehlgebrauch führen. Doch was genau ist wesentlich für die Anleitung?

Eine Frage der Zielgruppe

Da steht es schon wieder, dieses Wort. Immer wieder muss ich darauf herumreiten: Die Zielgruppe! Wer die kennt, weiß, welche Informationen diese auch benötigt. Ein ausgebildeter Mechaniker braucht keine Angaben zu der richtigen Drehrichtung einer Schraube. Ein Elektriker wird sich mit der korrekten Verdrahtung des E-Gerätes auskennen und dem Programmierer wird man die Funktion einer Computermaus nicht erläutern müssen. Hinzu kommt, dass der Bediener von einer Maschine nicht zwingend den Transport vornehmen wird. Also kann der Autor in der Betriebsanleitung für den Bediener auf entsprechende Angaben verzichten. Je genauer der Redakteur die Zielgruppe und die davon durchzuführenden Arbeiten kennt, umso genauer kann er seine Texte an die Bedürfnisse anpassen und auf unwesentliche Informationen verzichten. Übrigens: Wer für den US-Markt schreibt, sollte sich besonders mit den Kenntnissen und der Ausbildung der US-Zielgruppe auseinandersetzen. Wenn die Anleitung für den deutschen Techniker absolut ausreicht, kann sie für den US-Markt viel zu oberflächlich sein.

Überflüssige Informationen direkt löschen!

Verfassen einer Betriebsanleitung

Bei einigen Texten können wir auch ohne Zielgruppenkenntnisse den Rotstift ansetzen. Viele Kunden möchten eine umfangreiche Abhandlung zu den Haftungsausschüssen in ihrer Anleitung integrieren. Ein Absatz, der oft komplett überflüssig ist, da er im Schadensfall eben nicht zwingend von der Haftung befreit. Da hier andere Regelungen greifen würden – egal, was in der Anleitung steht - sollte dieser Absatz schnellstmöglich gelöscht werden. Ebenfalls gernbeschrieben sind ausführliche Angaben zu den Betreiberpflichten. Jeder Betreiber sollte seine Pflichten kennen, denn auch diese sind klar geregelt, also raus damit. Besonders kritisch sind Hinweise zu allgemeinen Erste-Hilfe-Maßnahmen wie etwa die Durchführung einer Herzdruckmassage. Wer möchte schon dafür geradestehen, falls die Angaben auch noch fehlerhaft sind? Gut gemeint vom Hersteller, leider nicht zielführend. Weitere Ansätze zur Kürzung von Anleitungen können zum Beispiel die technischen Daten oder allgemeinen Einleitungen sein.

Fluch und Segen zugleich

Den Aspekt des Minimalismus in Anleitungen sinnführend zu erfüllen, wird nicht immer leicht sein. Das Löschen von liebgewonnen Textmodulen fällt auch mir schwer. Aus Gewohnheit finden sich sicher in vielen Anleitungen Texte, die getrost gestrichen werden könnten. „Lass mal drin, stört ja keinen“ – diese Ansicht ist ab jetzt jedoch gefährlich und kann im Zweifel als Mangel interpretiert werden. So können unnötige Informationen laut Norm dazu führen, dass der Leser von den wesentlichen Punkten abgelenkt wird. Der Punkt 5.3.3 der Norm wird auch in meinem Alltag zu einem Überdenken der bisherigen Formulierungen führen. Und trotzdem freue ich mich über die Aufnahme des Absatzes. Häufig führe ich weitlaufende Diskussionen mit Kunden, die seitenweise Auskunft über Betreiberpflichten geben oder im Vorwort hinreichend auf die Vorteile des Produktes hinweisen. Kritisch werden die Gespräche, sobald das Marketing mitmischt. „Warum können wir nicht im Kapitel „Aufbau und Funktion“ auf die Vorteile des Produkts aufmerksam machen?“ Beschreibungen wie „hervorragende Wirkung“, „technologische Errungenschaft“ oder „innovative Lösung“ sollen zwingend aufgenommen werden. Technische Beschreibungen werden spontan durch den Werbetext der Broschüre ausgetauscht. „Klingt doch viel besser“, so das Marketing. Mit einem Argument wie „der Kunde hat das Produkt bereits gekauft und benötigt keine Werbung mehr“ kommt man leider nicht weit. Auch der Appell an die Vernunft scheitert oft. Jetzt haben wir Technischen Redakteure jedoch das Argument Schwarz auf Weiß in der Norm und können unser Ass jederzeit ausspielen. Vielen Dank an die Mitwirkenden für die Aufnahme des Absatzes. Mir persönlich habt ihr dadurch viele haarsträubende Gespräche erspart.

Der Artikel hat Ihre Interesse geweckt und Sie möchten mehr rund um das Thema CE-Kennzeichnung erfahren? Wir halten Sie mit unserem Newsletter auf dem Laufenden!

Jetzt für den Newsletter anmelden!

Themen: Technische Dokumentation

Jetzt den Blog-Newsletter abonnieren!