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(Un)vollständige Maschine - Haftungsrechtlicher Spagat

Erstellt von Jörg Handwerk am 24.10.18 10:23

Hat auch Ihr Kunde vorgeschlagen die Schutzzäune selbst um Ihre Maschine zu bauen und sogar das SPS-Programm selbst zu schreiben? Selbst notwendige Schutzeinrichtungen nimmt er aus seinem Lager und installiert sie selbst. Ist eine Maschine im Sinne der EG-Maschinenrichtlinie deshalb eine unvollständige Maschine oder eher eine vollständige, aber unsichere Maschine?

 unvollständige Maschine oder eher eine vollständige, aber unsichere Maschine?

Eines der wichtigsten Ziele des Kunden ist es Geld zu sparen. Da liegt der Gedanke nahe, die vom Maschinenlieferanten mitgelieferten Schutzeinrichtungen zu streichen, sie selbst anderweitig zu beziehen und an der Maschine zu befestigen. Die gelieferte Maschine muss sowieso noch mit der eigenen bestehenden Produktionslinie verbunden werden. Warum dann nicht gleich auch die Programmierung und das bisschen Sicherheit mit integrieren. Aber was liefert der Hersteller jetzt aus juristischer Sicht? Eine vollständige oder eine unvollständige Maschine. 

Betrachtet man das Ganze aus der Sicht des Maschinenbauers, so liegt der Fokus auf dem Erhalten des Auftrags, die Regularien spielen da nur eine sekundäre Rolle. Das ist zwar verständlich, denn ohne Aufträge kann kein Unternehmen fortbestehen. Was aber passiert im Schadensfall? Ereignet sich zum Beispiel ein schwerwiegender Unfall, der, im schlimmsten Falle, zum Tode eines Menschen führt, werden auf einmal ganz andere Fragen aufkommen. Wem obliegt die Verantwortung für die Auslegung der Sicherheitstechnik? Oder anders; wer haftet?

Aber ganz von vorn. Die Interpretationsspielräume scheinen unendlich und so referieren hoch dotierte Berater mit Doktortitel, in epischer Länge und Breite, über die Thematik. Am Ende jedoch ist alles so einfach. Werfen wir einen Blick in die Maschinenrichtlinie und schauen, was eine Maschine ausmacht. Eine Maschine soll aus mehreren, miteinander verbundenen, Teilen bestehen, wovon mindestens eines beweglich ist. Dieses Teil bedarf eines Antriebes, jedoch nicht durch Muskelkraft von Mensch oder Tier. Des Weiteren sollen diese Teile für einen bestimmten Zweck zusammengeführt werden, also ein gemeinsames Ziel verfolgen. Stellen wir uns also eine Maschine vor, die Paletten transportieren soll. Das bewerkstelligt sie mithilfe von Hubtischen, Kettenförderern, Drehtischen und kilometerlangen Rollenförderern. Die elektrischen Antriebe und Hydraulikaggregate hat der Maschinenbauer ausgelegt, installiert und in den Schaltschrank verdrahtet. Eine SPS ist vorhanden, aber es fehlt ein Programm. Schutzeinrichtungen möchte der Kunde selbst montieren. Handelt es sich in diesem Fall um eine unvollständige Maschine? Nein! Sie ist zwar unsicher, kann aber dennoch betrieben werden. Jeder SPS Ausgang kann „geforced“ werden, sodass die Bewegung des jeweiligen Aggregates möglich ist. Manuell angesteuert zwar, aber die Aggregate drehen, heben und transportieren die Dinge, die sie sollen.

Vertraglich hat der Kunde sich verpflichtet, sowohl das Programmieren der SPS zu übernehmen, als auch die Sicherheitstechnik zu installieren. Woher aber weiß der Kunde, wie hoch die Zäune und wie weit die Abstände zu den Gefahrenstellen sein müssen. Kennt der Kunde überhaupt die Gefahrenstellen und, bedeutend wichtiger, nach welchem Performance Level (PLr) muss er die Sicherheitstechnik auslegen? Welche Nachlaufzeit haben die Aggregate bei Auslösen einer Schutzfunktion und welche Sicherheitsfunktion muss angestrebt werden. Sicherer Halt, sicheres Reversieren?

Auslösen einer Schutzfunktion

All diese Dinge kann der Kunde nicht wissen, ohne dass er die Risikobeurteilung im Detail studiert hat. Diese jedoch wird konstruktionsbegleitend vom Hersteller durchgeführt. In ihr sind alle Risiko mindernden Maßnahmen exakt beschrieben und müssen auch so umgesetzt werden. Somit ist der Kunde nahezu die verlängerte Werkbank des Herstellers und ist verpflichtet, alles so zu installieren, wie die Risikobeurteilung es vorgibt. Was passiert sonst? Keiner von beiden, weder Kunde noch Maschinenlieferant, kann die EG-Konformitätserklärung unterzeichnen, da keiner der beiden die Einhaltung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen bestätigen kann. Der Kunde nicht, weil er keine Risikobeurteilung durchgeführt hat, bzw. aufgrund mangelnder Konstruktionsdetails nicht durchführen konnte. Der Hersteller nicht, da er die Ausführung des Kunden nicht im Detail prüfen kann.

Fakt ist, es wird eine Maschine geliefert, die zum Zeitpunkt der Auslieferung unvollständig ist. Das allein definiert aber noch keine „unvollständige Maschine“. Richtig wäre es, den Kunden die sicherheitsrelevanten und vertraglich festgelegten Teile installieren zu lassen und während der Inbetriebnahme Funktion und Vollständigkeit zu prüfen. Ist sowohl dies gewährleistet, als auch alle weiteren Anforderungen erfüllt, so kann der Maschinenhersteller mit gutem Gewissen seiner Verpflichtung nachkommen und die Konformitätserklärung unterzeichnen. Aber nur dann. Ist dies nicht gewährleistet und der Maschinenhersteller unterzeichnet trotz alledem die Konformitätserklärung, liefert er eine unsichere, aber vollständige Maschine und sieht sich unter Umständen nicht nur den Verfolgungen der Aufsichtsbehörden ausgeliefert, sondern läuft Gefahr mit entsprechenden Strafen nach dem ProdSG und PHG belegt zu werden. Ein Eintrag in der RAPEX scheint dagegen gesichert. Das ist viel eher existenzbedrohend als einen Auftrag auch mal auszuschlagen.

Sehen auch Sie sich diesen oder ähnlichen Problemen gegenüber? Eine erste Hilfestellung kann unser kostenloses Whitepaper zur EG-Konformitätserklärung sein. Falls noch weitere Fragen unbeantwortet bleiben, bieten Wir qualifizierte Schulungen zum Thema Maschinensicherheit an. 

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Themen: EG-Konformitätserklärung, Maschinenrichtlinie, Technische Dokumentation

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