Der Fachblog für CE-Kennzeichnung

Warnung oder Gefahr: Müssen wir es so genau nehmen?

Erstellt von Lucia Gefken am 21.02.22 11:23

Aus meinen vorherigen Blogbeiträgen wisst ihr: Das Signalwort „Gefahr“ wird für schwere Verletzungen oder Tod mit sehr hoher Eintrittswahrscheinlichkeit bei Nichtbeachtung eingesetzt und sollte nicht mit „Warnung“ verwechselt werden, denn dieses Signalwort setzt der geübte Technische Redakteur ein, wenn Tod oder schwere Verletzungen vielleicht eintreten können. Seit Jahren halte ich mich an die Regel und predige sie rauf und runter. Nerve Kollegen, Kunden und Familie damit. Doch seit einigen Monaten rebelliert ein Teil von mir. Ist es sinnvoll, eine so komplizierte Abstufung der Signalwörter zu gestalten, dass diese Abstufungen sogar in den Darstellungskonventionen zu Beginn der Anleitung erläutert werden müssen?

 

Sterbe ich vielleicht oder auf jeden Fall?

Farbige Anleitungen nach den gängigen Gestaltungs- und Formulierungsregeln sind in erster Linie eins: Bunt. Rot, orange, gelb und blau sind allein die Hinweise. Zwischen Zeichnungen und Grafiken des Produkts platziert, wirkt das Dokument farbenfroh. Wer die entsprechenden Erklärungen zu Beginn der Anleitung gelesen hat, weiß: Bei Rot bin ich Tod, bei gelb zwickt es nur etwas. Und wofür steht orange? Genau, da bin ich vielleicht Tod. Aber macht es am Ende einen Unterschied, ob der Leser vielleicht oder ganz sicher gestorben ist? Dem Verstorbenen wird es egal sein. Und irgendwann muss jeder sterben. 

 

Aus der Norm

Der geübte Redakteur wird einwenden, dass Anleitungen auch ohne Farbe den Regeln entsprechen. Aber die Abstufungen der Signalwörter bleibt. Die EN ISO 20607:2019 zum Beispiel verlangt in Kapitel 6.5 für Warnhinweise ein Signalwort und ergänzt diese Forderung um eine entsprechende Anmerkung: „ANMERKUNG 1 Entsprechende Signalwörter sind GEFAHR, WARNUNG und VORSICHT. Siehe ISO 3864-2“. Die Norm fordert also den Einsatz der Signalwörter. Aus meiner Sicht ist an dem Gebrauch eines entsprechenden Signalworts nichts verwerflich. Möchte ich meinem Mann mitteilen, dass er gleich ein heranfahrendes Auto übersieht, ist ein Ausruf mit dem Signalwort „VORSICHT“ äußerst effektiv, der Fuß tritt automatisch auf die Bremse, erst danach muss eine Erklärung erfolgen.

 

Gelernte Warnungen

Rufen wir einem Kollegen „STOPP“ zu, wird dieser innehalten, bevor er in den Abgrund tritt, – obwohl die Folge des Weitergehens eventuell seinen Tod bedeuten könnte, müssten wir nicht „WARNUNG“ rufen. Der Kollege versteht, was gemeint ist. Vielmehr wäre der Kollege von dem Ausruf „WARNUNG“ vielleicht irritiert, würde sich gehend zu uns umdrehen und erst recht in sein Unglück stürzen. Im wahren Leben kennen wir die Unterscheidung zwischen Warnung, Gefahr und Vorsicht nicht. Dies sehen wir an vielen Stellen. Im Wald hängen Schilder mit „Achtung, Zecken“. „Achtung“ wird in der Technischen Redaktion häufig für Sachschäden eingesetzt. Bekomme ich einen Sachschaden durch die Zecke? Oder „Achtung. Kein Winterdienst! Betreten auf eigene Gefahr“ – ein Sachschaden kann bei glatten Straßen auftreten, das sehe ich ein, aber mein Bein kann ich mir ebenfalls brechen, ein freundliches „Warnung“ wäre angebrachter. In freier Wildbahn begegnen mir viele Warnhinweise mit „falsch“ verwendeten Signalwörtern und trotzdem habe ich alle verstanden. Ich lebe noch. Daran wird auch der „falsche“ Einsatz von Signalwörtern nichts ändern. Beim Schild „Vorsicht Bienen“ würde ich gerne einen Blick in die Risikobeurteilung werfen. Wurden hier Allergiker in der Bewertung betrachtet? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Bienenstich zu sterben? Ein Warnhinweis der Kategorie „Vorsicht“ warnt vor leichten Verletzungen. Sicher nicht das, was Allergiker über einen Bienenstich sagen würden.

 

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Der Kern der Sache

Ob ich in meiner Anleitung das Signalwort „Vorsicht“ oder „Warnung“ verwende, entscheide ich anhand der Risikobeurteilung. Hieran kann ich in der Regel ableiten, ob eine Brandblase die Folge der Gefahr ist oder vielmehr am Ende ein Arm fehlt. Anhand der Risikobeurteilung erfahre ich, was genau die Gefahr verursacht, z. B. heiße Oberflächen, und wie ich mich schützen kann, nämlich mit Schutzhandschuhen. Unabhängig vom Signalwort entscheiden zum einen eine sichere Konstruktion der Maschine oder des Produkts sowie die genaue Beschreibung der Art und Quelle der Gefahr (Verbrennungsgefahr am heißen Motor) und das Entkommen aus der Gefahr (also die Handschuhe) über die Gesundheit des Lesers. Die Aussage muss am Ende klar sein, dann ist das Signalwort irrelevant.

 

Meine stille Rebellion

Ich persönlich würde mit Freude und gutem Gewissen dazu übergehen, alle Warnhinweise mit Verletzungen aller Art mit einem frechen „Warnung“ zu versehen. Da unsere Kunden normkonforme Anleitungen bestellen und diese erhalten sollen, halte ich mich weiter an die Regel. In meiner Freizeit jedoch nutze ich bei vorbeifliegenden Bienen gerne und völlig normabweichend ein lautes „ACHTUNG“ – meine persönliche Rebellion gegen Regeln, die vielleicht nicht immer zielführend sind.

 

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Themen: Arbeitssicherheit, Technische Dokumentation, Richtlinien und Normen

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