Der Fachblog für CE-Kennzeichnung

Die 5 Wegweiser durch den Richtliniendschungel!

Erstellt von Lucia Gefken am 19.04.18 12:55

Richtlinien: trockene Fachtexte, verschachtelt, lang und ohne Jura-Studium kaum zu verstehen. Und trotzdem ein Muss für jeden Hersteller. Wer sich nicht auskennt, verirrt sich schnell im Dschungel der Definitionen, Absätze, Paragraphen und Anhänge. Doch wie kann man im Dickicht überleben? Wie können Sie als Hersteller Ihre Produkte richtig einordnen und bei juristischen Prüfungen bestehen?

1. Wegweiser: Nicht immer vom Offensichtlichen ausgehen

Ein Hersteller produziert elektrisch angetriebene Skateboards. Eine erste Vermutung liegt nahe, dass es sich um Spielzeug handeln könnte. Bei genauer Betrachtung der einzelnen Funktionen, des Antriebs und der bestimmungsgemäßen Verwendung stellt sich heraus: dieses Skateboard fällt unter anderem unter die Maschinenrichtlinie. Denn das Skateboard hat ein Antriebssystem. Die Verordnung (EU) 168/2013 schließt zwar Fahrzeuge mit mehreren Rädern von der Maschinenrichtlinie aus, insofern sie dazu bestimmt sind, auf öffentlichen Straßen gefahren zu werden. Jedoch gilt der Ausschluss nur, falls die Fahrzeuge mindestens einen Sitzplatz haben – und das hat ein Skateboard naturgemäß nicht.

Ein anderer Fall: Eine einfache Schraube. Allgemeine Produktsicherheit? Nicht zwingend. Ein Blick in die bestimmungsgemäße Verwendung des Herstellers zeigt, dass die Schraube für die Anwendung im Hochbau bestimmt ist. In dem Fall muss also die Bauprodukteverordnung beachtet werden.

Wegweiser durch Richtlinien

Einfache Lastaufnahmemittel wie eine Traverse würde der Laie nicht unbedingt unter der Maschinenrichtlinie einordnen und trotzdem sind Lastaufnahmemittel genau hier explizit genannt.

Um ein Produkt richtig zuzuordnen, ist Fleißarbeit gefordert. Ein Grundwissen über die Inhalte der Richtlinien ist notwendig. Dabei muss man diese nicht auswendig kennen, aber grob wissen, worum es geht. Hier hilft auch der Blick in die Interpretationspapiere, die im Internet zu finden sind. Wichtig für die Recherche sind Informationen wie technische Daten und die bestimmungsgemäße Verwendung des Produkts. Ohne diese Informationen ist eine Recherche nicht durchführbar.

2. Wegweiser: Ausschlüsse anschauen

RICHTLINIE 2014/30/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Februar 2014 Artikel 3 (2) 1. „„Bauteile“ oder „Baugruppen“, die dazu bestimmt sind, vom Endnutzer in ein Gerät eingebaut zu werden, und die elektromagnetische Störungen verursachen können oder deren Betrieb durch elektromagnetische Störungen beeinträchtigt werden kann;

Sobald eine Vermutung besteht, welche Richtlinien zutreffen könnten, gilt es, diese zu lesen. Und zwar genau und vom Anfang bis zum Ende. Oft sind Beispielprodukte in den Richtlinien aufgeführt. In der Definition der Richtlinien finden sich Angaben zum Geltungsbereich. Aber Vorsicht: Häufig wird in diesen Geltungsbereichen auf Anhänge oder andere Absätze verwiesen, die unbedingt gelesen werden sollten. 

Dokumente und Richtlinien

Denn oft verbergen sich zahlreiche Produkte in diesen Verweisen, die urplötzlich trotz Einhaltung des Geltungsbereiches explizit von dieser Richtlinie ausgeschlossen werden. Falls Ihr Produkt also wiederum in diesen Ausschlüssen genannt wird, müssen Sie weitersuchen. Dabei kann es passieren, dass Sie mehrere Richtlinien auf Ihr Produkt beziehen können. Häufig fallen Produkte unter mehrere Richtlinien gleichzeitig. Andererseits gibt es wiederum Richtlinien, die sich gegenseitig ausschließen. Sobald die Maschinenrichtlinie Anwendung findet, ist zum Beispiel die Niederspannungsrichtlinie ausgeschlossen, da die Maschinenrichtlinie alle elektrischen Gefährdungen bereits berücksichtigt.

3. Wegweiser: Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren…

Sie haben einen Weg durch den Dschungel gefunden? Dann dokumentieren Sie interne Dokumentationdiesen für Ihre Firma. Selbst, wenn Sie gegebenenfalls einen falschen Weg eingeschlagen haben, sollten Sie im Zweifel Ihre Absichten und Gründe für die Einordnung Ihres Produkts für eine bestimmte Richtlinie dokumentieren und offenlegen können. Richtlinien haben einen gewissen Interpretationsspielraum. Falls Sie also im Klagefall oder im Falle einer Rückfrage durch Behörden rechtfertigen müssen, warum Sie eine bestimmte Richtlinie einhalten oder warum Sie eine Richtlinie explizit ausschließen, begründen Sie Ihr Vorgehen schriftlich und archivieren Sie diese Dokumentation in der internen technischen Dokumentation.

4. Wegweiser: Normen nicht vergessen

Wenn Richtlinien die Bäume im Dschungel sind, dann sind die Normen wie die Lianen am Baum. Nun haben Sie den Weg zum Baum gefunden, müssen sich aber durch die zahlreichen Lianen kämpfen. Nicht immer reicht die Einhaltung von Richtlinien aus. Oft wird in den Richtlinien auf den Stand der Technik verwiesen, der durch die Normen hergestellt wird. Und diese Normen bieten mindestens so viel Interpretationsspielraum, wie die Richtlinien selbst. Häufig leitet eine Norm zu der nächsten, sodass der Weg aus dem Dschungel immer schlechter zu sehen ist. Doch keine Angst vor Normen: Richtig angewandt werden diese Normen Ihnen helfen, Ihr Produkt sicher zu gestalten und normen- und rechtskonform auf den Markt zu bringen. Auch hier: Zeichnen Sie sich Ihren Weg auf, schreiben Sie auf, welche Normen Sie verwendet haben und fügen Sie dieses Schreiben Ihrer internen Dokumentation zu. Und sollten Sie Normen nicht in vollem Umfang berücksichtigt haben, so vermerken Sie auch nur die Kapitel, die angewandt wurden.

Risikobeurteilung richtig anwenden

5. Wegweiser: Hilfe suchen

Und wenn Sie sich verirrt haben? Suchen Sie Hilfe. Zu den Richtlinien gibt es zahlreiche Interpretationspapiere, welche die juristischen Texte in verständliche Sprache übersetzen. Auf vielen Websites gibt es die Möglichkeit, Fragen zu den Richtlinien zu stellen (z.B. beim Umweltbundesamt). Kontaktieren Sie Fachverbände wie den VDMA und schauen Sie in Fachbeiträgen, ob Sie dort weitere Informationen finden. Im Zweifel hilft auch der unverbindliche Blick nach links und rechts. Schauen Sie, wie es die Mitbewerber machen. Aber vertrauen Sie diesen Einschätzungen nicht blind. Deklariert Ihr Mitbewerber ein Produkt als Medizinprodukt, dann prüfen Sie anhand dieser Richtlinie, ob Sie Ihr Produkt in dieser Richtlinie ebenfalls wiederfinden. Und falls Ihnen das nicht weiterhilft?Zahlreiche Unternehmen haben sich auf die Richtlinienrecherche spezialisiert. Dort sind Experten, die häufig mit Richtlinien arbeiten und zahlreiche Produkte routiniert und genau einstufen.

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Themen: CE-Kennzeichnung, Technische Dokumentation, Richtlinien und Normen

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