Der Fachblog für CE-Kennzeichnung

Das große Ganze – die Anlagendokumentation

Erstellt von Lucia Gefken am 10.04.19 09:20

In der EG-Maschinenrichtlinie heißen sie „Gesamtheit von Maschinen“, in der Industrie sind sie allgemeinhin unter dem Begriff „Anlage“ bekannt. Egal wie wir sie nennen, eine Betriebsanleitung brauchen alle. Klingt komisch, ist aber so.

Betriebsanleitung

Der Konflikt

Wenn mehrere Maschinen steuerungstechnisch verknüpft sind und als Gesamtheit zusammenarbeiten, spricht die Maschinenrichtlinie von einer „Gesamtheit von Maschinen“. Falls jene Situation vorliegt, muss diese Gesamtheit quasi wie eine neue Maschine betrachtet werden. Das bedeutet, der Hersteller muss den kompletten Konformitätsprozess für die Gesamtanlage durchführen. Der Prozess beinhaltet das Anbringen eines Typenschildes, die Durchführung der Risikobeurteilung – wobei hier eine Schnittstellenbetrachtung gemacht wird – und die Erstellung der Gesamtbetriebsanleitung. Vielen Herstellern ist diese komplexe Beschreibung ein Dorn im Auge. „Viel zu teuer“, „Wird doch alles in den einzelnen Maschinenbeschreibungen erläutert“, „Liest doch eh keiner“…. Argumente, die mir in meiner Funktion als Technische Redakteurin das kleine Schreiberherz brechen.

Verständnis und Einsicht

Ok, ich kann die Hersteller ja verstehen. Wenn 38 DIN A 4- Ordner voller Betriebsanleitungen und Anhänge abgegeben werden müssen, kommen Zweifel an der Sinnhaftigkeit auf. Denn DAS liest sicher keiner. Hier ist ein maßvoller Umgang mit relevanten Informationen bereits bei der Erstellung der einzelnen Maschinenanleitungen sicher ein wichtiges Thema, welches auch in zahlreichen Seminaren zum Thema „Textkürzung“ abgehandelt wird. Und dann noch eine Anlagenbeschreibung oben drauf? Unbedingt! Und diese bitte so gut, dass dem Bediener der Blick in die einzelnen Maschinenbeschreibungen während des Normalbetriebs erspart bleibt.

Anlagendoku: Eine Ansammlung von Verweisen?

Eine Gesamtheit von vier Maschinen wurde in einer übergeordneten Betriebsanleitung beschrieben. Auf 32 Seiten sind alle Lebenszyklen und die dazugehörenden sicherheitsrelevanten Informationen aufgeführt…. Auf 32 Seiten? Verdächtig. Der Blick in die Anleitung führt schnell zu den zahlreichen Verweisen. Im Kapitel Bedienung finden sich genau vier Hinweise folgender Art: „Weitere Informationen über die Bedienung der Maschine 1 finden Sie in der Betriebsanleitung xyz“. Diese Verweise wiederholen sich in nahezu jedem Kapitel. Kein einziger Handlungsschritt ist ausformuliert. Eine Zumutung für den Leser und auch nicht zielführend. Das geht besser. Aber wie?

Die Kür der Technischen Dokumentation

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass eine Betriebsanleitung für eine Gesamtheit von Maschinen vor allem eins ist: Eine Betriebsanleitung. Also wenden wir unseren Blick in das Kapitel „1.7.4. Betriebsanleitung“ der Maschinenrichtlinie und erfahren, welche Inhalte in einer Betriebsanleitung enthalten sein müssen und natürlich, dass die Betriebsanleitung Pflichtbestandteil der Anlage ist. Der geschulte Technische Redakteur zieht zusätzlich die Norm DIN EN 82097-1 zu Rate, denn auch wenn diese keine harmonisierte Norm ist, so ist sie doch das, was als „Stand der Technik“ ausgelegt werden kann. Die Norm zur Erstellung von Anleitungen und die Anforderungen der Maschinenrichtlinie ergeben bereits einen guten Fahrplan für das Erstellen der Gesamtanleitung. Doch wie kann die Anleitung übersichtlich und wirtschaftlich gestaltet werden?

Ein Fachbericht als Reiseführer

Hier hilft der DIN Fachbericht 146 weiter. Der Fachbericht ist ein Wegweiser durch den Beschreibungsdschungel für Anlagen. Denn die komplette und detaillierte Aufnahme aller Informationen zu einer großen Anlage würde jeden realistischen Umfang sprengen. Viel mehr sind Verweise auf die einzelnen Maschinenanleitungen nicht verboten, sondern durchaus erwünscht. Jedoch in einem sinnvollen Rahmen. In der Tabelle 1 – Textintegration / Verweise des Fachberichts wird Kapitel für Kapitel gezeigt, wo ein Verweis auf die Zulieferdoku erwünscht ist oder wo eine Integration der Texte sinnvoll ist. Leider ist der Fachbericht eben nur ein Fachbericht und keine Norm. Trotzdem ist das Dokument ein schöner Reiseplan für die Erstellung der Gesamtbeschreibung und kann ebenfalls als „Stand der Technik“ ausgelegt werden.

Logisches Denken erforderlich

Eigentlich hilft für die Erstellung schon das logische Denken. Die einzelnen Maschinen sind im Idealfall in den jeweiligen Betriebsanleitungen bis ins kleinste Detail beschrieben und der Anlagenhersteller hat diese auch auf Vollständigkeit geprüft. Sehr gut. Eine Risikobeurteilung der Gesamtanlage wurde selbstverständlich durchgeführt. Und jetzt wird gestartet:

  • Sicherheit

Die bestimmungsgemäße Verwendung der Anlage ist zwingend erforderlich, diese kann logischerweise in keiner der Maschinenanleitungen beschrieben sein.
Die Restrisiken der Gesamtanlage sind in der Risikobeurteilung ermittelt worden und müssen für den sicheren Gebrauch in der Gesamtanleitung aufgeführt werden. Die Restgefahren der einzelnen Maschinen runden das Kapitel Restgefahren ab. So erhält der Leser direkt einen Überblick über alle Gefahren. Das gleiche gilt auch für die Schutzausrüstung und für alle relevanten Sicherheits- und Warnhinweisen aus den einzelnen Maschinenbeschreibungen.

  • Überblick

Ein Kapitel zum Thema Funktion und Aufbau soll dem Leser helfen zu verstehen, wie die Anlage funktioniert und wo sich die einzelnen Komponenten – in dem Fall die einzelnen Maschinen – befinden. Dadurch erhält der Leser einen Überblick über das große Ganze. Oft helfen hier vereinfachte Aufbauschemata oder Zeichnungen. Auf die Beschreibung des Aufbaus der einzelnen Maschinen kann verwiesen werden.
Im Kapitel Technische Daten sind die Daten der Gesamtanlage erfasst. Denn die Gesamtanlage hat zum Beispiel einen höheren Lärmpegel als eine einzelne Maschine und dieser muss in der Anlagendoku angegeben werden. 

  • Montage und Co

Bei Kapiteln wie Montage und Inbetriebnahme ist mit Herz und Verstand zu agieren. Wird die Inbetriebnahme direkt durch den Hersteller durchgeführt, so ist eine Beschreibung nicht weiter notwendig. Eine entsprechende Erklärung reicht. Wird die Inbetriebnahme der Gesamtanlage vom Betreiber durchgeführt, so ist eine vollständige Beschreibung relevanter Tätigkeiten von Vorteil.

  • Bedienung/Betrieb

Das Thema Bedienung ist ein wichtiger Bestandteil und sollte nicht aus einer Aneinanderreihung von Verweisen bestehen. Zielgruppengerechtes Aufarbeiten der einzelnen Handlungsschritte ist gefragt. Wobei hier der Blick für das Wesentliche hilft. Ist eine Anlage zum Beispiel für das automatische Zusammenbauen von Automotoren vorgesehen, so sollte genau dieser Vorgang in der Bedienung beschrieben sein. Das bedeutet, es wird beschrieben, wie der Bediener die einzelnen Komponenten der Anlage zuführt, wie er den Gesamtprozess startet und stoppt, wie er die Gesamtanlage für die verschiedenen Motorteile einstellt und die regulären Prozesse starten kann. Im Normalfall gibt es ein Gesamtbedienpult, an dem der Bediener alles steuert. Kann der Bediener an einer einzelnen Maschine theoretisch das Werkzeug wechseln, um zum Beispiel andere Schraubenarten zu verschrauben, muss dies aber für den Zusammenbau der Automotoren schlicht nicht machen, so muss dieser Vorgang auch nicht in der Gesamtanleitung beschrieben werden.

Anlagendokumentation

  • Wartung

Der Wartungsplan der Anlage fällt in der Regel sehr umfangreich aus, gibt dem Leser aber einen direkten Überblick, wann er welche Wartungsarbeit durchführen muss. Dies ist auch eine Frage der Kundenbindung. Muss sich der Kunde eigenständig einen Wartungsplan aus den 12 Maschinenanleitungen erstellen oder gibt der Anlagenhersteller diese Information direkt gebündelt in der Anlagenbeschreibung mit? Ganz klar pro Gesamtwartungsplan, im Idealfall mit Angaben dazu, wer die einzelnen Arbeiten durchführen darf. Häufig gibt es für die Wartung von Anlagen spezielles Fachpersonal und der Bediener darf nur eine Handvoll ausgewählter Wartungsarbeiten selbst durchführen. In dem Fall ist die Empfehlung, die Wartungsarbeiten des Bedieners zu beschreiben. Generell darf aber aus dem Wartungsplan auf die genaue Beschreibung der Wartungsarbeiten in den einzelnen Maschinenanleitungen verwiesen werden. Oft ist die Erstellung des Wartungsplans ein großer Zeitfresser, da jede einzelne Betriebsanleitung nach den Wartungsarbeiten durchforstet werden muss und die Arbeiten häufig im Gesamtwartungsplan an eine einheitliche Sortierung (z.B. nach Monat/Betriebsstunden/etc) angepasst werden muss.

  • Störung

Bei den Störungen ist es wie mit der Bedienung. Meist ergeben sich aus der Gesamtsteuerung ganz neue Störungsmeldungen, diese können entsprechend in der Anlagendoku übernommen und beschrieben werden. Die Aufnahme der im Anlagenbetrieb zu erwartenden Störungen macht sicher Sinn. In dem Beispiel der Anlage für Automotoren wäre eine klassische Störung, dass keine Schrauben mehr im Lagerfach vorhanden sind. Die Abhilfe ist logisch. Schrauben nachfüllen und der Betrieb kann weitergehen. Bei weiterführenden Störungen wie „Motor überhitzt an Maschine 2“ reicht wiederum der Verweis auf die Betriebsanleitung der einzelnen Maschine

Fazit

Anlagendoku ist und bleibt ein dicker Brocken. Jedoch sollte diese von den Herstellern nicht als unliebsame Geldschleuder betrachtet werden. Vielmehr kann eine gut durchdachte Anlagendoku Bedienerfehler vermeiden und zu mehr Kundenzufriedenheit führen. Die Hersteller sollten das Dokument, welches sie rechtlich betrachtet sowieso erstellen müssen, als Instrument der Kundenbindung sehen und ein gut durchdachtes Dokument liefern.

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Themen: Maschinenrichtlinie, Technische Dokumentation

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